Ich erinnere mich noch genau, der Kulturschock für uns junge Studierende in Deutschland.

Immer diese Frage: ob du ins Auslandsamt gehst, Versicherungsbüro, Hochschulsekretariat, zum Arzt, und das kurioseste, sogar zu Menschen, bei denen du dachtest, sie sind Freunde. Du denkst: Freunde brauchen doch keine festen Termine, um sich gegenseitig zu besuchen. Weit gefehlt.

Geht es auch schlimmer? Na klar: du möchtest an einem Sonntag endlich einkaufen, da du ja alle anderen Termine an den anderen Tagen wahrnimmst. Nur um festzustellen, die Supermärkte sind alle zu. Wer plant schon, was er wann isst?

Ich weiß, du hast keine Steigerung erwartet: Bis du Studierende kennenlernst, deren Eltern Mahlzeiten für jeden Tag zubereiteten (du erinnerst dich: an den Wochenenden bist du allein in den WGs, teilweise neidisch). Diese kommen zurück mit gekennzeichneten Dosen: Montag, Dienstag usw. Diese können und dürfen sie nicht mit dir teilen, sind ja dosiert…zum Glück, denn dem deutschen Essen vertraust du noch nicht ganz.

Ob du deins mit ihnen teilen darfst? Nicht immer, teilweise sagen sie dir direkt: „Ich habe da noch etwas, das ich heute essen muss“ – Beachte bitte das Wort #muss. Ein Termin mit dem Essen.

Raus aus dem studierenden Umfeld gibt es Momente, an den du möchtest, dass etwas pünktlich beginnt. Nun bist du auch pünktlich.

An diesen drei Orten bringen dir deine hart erlernte Pünktlichkeit nicht viel: Im Kino (der Film fängt nie pünktlich an), beim Arztbesuch (Hier hast du gelernt, im Warteraum Abstand zu halten, lange vor Corona), und wenn du zum Essen eingeladen bist & du vergessen hast, dass ihr zuerst gemeinsam kocht (Wer kommt denn auf die Idee mit Gästen zu kochen?)

Zu beobachten sind auch Menschen in der Schlange zur Supermarktkasse, die ihre Ungeduld offensichtlich Fremden zeigen, nur um später in Ruhe beim Kaffee & Kuchen zu sitzen.

Und wehe, du zählst auch noch dein Kleingeld oder möchtest mit der Karte zahlen? (Echt wahr, Kartenzahlungen dauern manchmal auch länger). Diese Blicke. Alle haben Termine. Nur du nicht.

Nach und nach erlebst du im Geschäftsleben, wie Menschen (zu) pünktlich in Meetings erscheinen, trotzdem gehen sie ohne Entscheidungen raus. Als ob das Ziel es sei, pünktlich zu sein.

Klar fehlen dir die Worte. Die werden dir noch fehlen aber gemach gemach…

Sei nicht so streng und werte nicht so schnell. Langsam findest du auch Vorteile darin. Schleichend bist du Einheimischer als die Einheimischen.

Termine heute zu organisieren kosten mehr Zeit, als Termine wahrzunehmen.

Die größte Freiheit ist es, zwischen wichtigen und dringenden Terminen zu unterscheiden. Sei neugierig und pflege Termine mit Einheimischen und Nicht-Einheimischen.

Denn manchmal ist das einzige, was zwischen dir und einer magischen Begegnung steht, ein Termin. Offene Haltung zur Vielfalt ist keine Einbahnstraße.

Hast du heute einen Termin?

Susan Omondi

20.03.2022